Mit dem heute in zweiter und dritter Lesung beratenen Entwurf eines Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte greifen wir ein Thema auf, das für viele Menschen große praktische Bedeutung hat. Im Jahr 2012 mussten bundesweit rund 100 000 Menschen Privatinsolvenz anmelden. Circa 20 000 davon gingen insolvent, weil sie mit ihrem Unternehmen oder als Selbstständige scheiterten. Für den Rhein-Sieg-Kreis, aus dem ich komme, weist der Schuldenatlas 2012 der Creditreform aus, dass 42 500 Menschen, immerhin 8,69 Prozent der Bevölkerung, überschuldet sind.
In vielen Fällen sind es Lebensrisiken wie Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Trennung, die gar nicht oder nur sehr begrenzt zu beeinflussen und nicht vorwerfbar verursacht sind, die zur Überschuldung geführt haben. In anderen Fällen kann der Ausfall einer berechtigten Forderung wegen der Zahlungsunfähigkeit eines anderen der maßgebliche Grund sein; bei wiederum anderen sind es Konsumschulden, mit denen sich der Schuldner sehenden Auges übernommen hat.
Die Möglichkeit der Restschuldbefreiung gibt ihnen die Chance zum Neuanfang. Sie ermutigt mit der Aussicht auf neue wirtschaftliche Unabhängigkeit und motiviert dazu, Verdienstmöglichkeiten auszuschöpfen, Geschäftsideen in die Tat umzusetzen, auch wenn sie mit der Gefahr des Scheiterns verbunden sind. Das hilft nicht nur den Schuldnern, sondern liegt auch in unserem gesamtwirtschaftlichen Interesse. Auf der anderen Seite steht dem das Interesse der Gläubiger gegenüber, berechtigte Forderungen auch durchsetzen zu können. „Pacta sunt servanda“ ist einer der zentralen Grundsätze unserer Zivilrechts- und unserer Wirtschaftsordnung.
In diesem Spannungsfeld müssen die gegensätzlichen Interessen abgewogen werden. Die Verbraucherinsolvenz mit Restschuldbefreiung hat sich hier grundsätzlich bewährt und ist akzeptiert. Wir greifen mit dieser Reform aber einige Punkte auf, die bisher als ungerecht oder unpraktisch empfunden worden sind.
Dabei hat auch der Blick auf die Regelungen, die in unseren Nachbarländern gelten, eine Rolle gespielt. Dass es hier deutliche Unterschiede gibt, ist insgesamt nicht hilfreich und führt zu einem Insolvenztourismus, der diejenigen bevorzugt, die den Wohnsitz für eine Weile nach England oder Frankreich verlegen können. Auch hier darf man aber nicht nur auf die augenscheinlich kurzen Fristen bis zur Restschuldbefreiung schauen; denn diese Rechtsordnungen geben dem Richter durchaus auch Spielraum, im Einzelfall längere Fristen, Quoten oder Auflagen festzusetzen. Eine stärkere Vereinheitlichung der Rechtsordnungen auf europäischer Ebene wären an dieser Stelle durchaus sinnvoll.
Mit dem heute zur Beschlussfassung anstehenden Gesetz schaffen wir zum ersten Mal einen Anreiz, durch besondere Anstrengung eine in der Insolvenz überdurchschnittliche Quote zu erzielen, dafür im Gegenzug schneller zur Entschuldung zu kommen. Wer zumindest die Kosten des Verfahrens deckt, kommt nach fünf Jahren, das heißt ein Jahr früher in den Genuss der Restschuldbefreiung. Wer außerdem die Forderungen der Gläubiger mit einer Quote von 35 Prozent erfüllt, kann dieses Ziel bereits nach drei Jahren erreichen. Davon profitieren im Regelfall beide Seiten: die Gläubiger mit einer höheren Quote, die die heute durchschnittlich erzielten Quoten deutlich übersteigt und für die der Schuldner oftmals besondere, überobligatorische Anstrengungen erbringt, zu denen er nicht verpflichtet ist und zu denen er nach bisher geltendem Recht auch keinerlei Anreiz hat; der Schuldner durch die schnellere Befreiung aus den gleichsam als „Schuldturm“ empfundenen Einschränkungen der Wohlverhaltensphase.
Wir haben es uns in diesem Zusammenhang nicht leicht gemacht, den richtigen Ansatz zu wählen. Insbesondere haben wir sehr ausführlich erwogen, ob mehr richterliches Ermessen, etwa mit Blick auf die jeweiligen Ursachen der Insolvenz, an dieser Stelle zu mehr Gerechtigkeit und Zielgenauigkeit beitragen könnte: um etwa dem Gläubiger, der mit großer und selbst überobligatorischer Anstrengung immerhin 20 Prozent seiner Schulden aus einer gescheiterten Unternehmensgründung aufbringt, ebenfalls einen schnelleren Neustart zu ermöglichen, und auf der anderen Seite dem Schuldner, der sich mit Konsumschulden absehbar übernommen hat, den Schuldenschnitt um 65 Prozent nicht zu leicht zu machen. Dies hätte allerdings sehr uneinheitliche und unberechenbare Handhabung durch die Gerichte zur Folge gehabt und die Insolvenzgerichte mit der schwierigen Aufklärung und Bewertung der ganzen Vorgeschichte der Insolvenz belastet. Wir haben deshalb der starren Quote den Vorzug gegeben.
Dass 35 Prozent eine ambitionierte Vorgabe sind, ist sicher zuzugeben. Den Schuldnern hilft aber, dass die Privilegierung der Lohnabtretung nach § 114 Insolvenzordnung, von der vor allem die Gruppe der Kreditgeber unter den Gläubigern profitiert hat, abgeschafft wird. Damit stehen laufende Einkünfte jenseits der Pfändungsfreigrenze von Anfang an für alle Gläubiger zur Verfügung und erhöhen so die Möglichkeit für alle, zu höheren Quoten zu kommen. Dies ist zugleich ein Beitrag zur Gläubigergleichbehandlung.
Vor allem ist dieses zusätzliche Angebot einer schnelleren Restschuldbefreiung ein wichtiger Anreiz, in Zukunft bereits früher ein Insolvenzverfahren konstruktiv anzugehen, sich bereits früher in professionelle Beratung zu begeben und sich wirtschaftlich zu konsolidieren, anstatt zuerst alle Ressourcen einschließlich eventueller Verwandtendarlehen zu verbrauchen und damit Zeit und Kraft für einen „fresh start“ zu verlieren. Voraussetzung ist allerdings, dass die Schuldnerberatungen auch zeitnah einen Termin anbieten können, wenn der Schuldner bereit ist, sich seiner Situation zu stellen und Beratung und Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Für die wirklich gute Arbeit der Schuldnerberatungsstellen möchte ich an dieser Stelle meinen Dank sagen, verbunden mit dem dringenden Appell an die Kommunen, hier für eine bedarfsgerechte Ausstattung zu sorgen. Eine ständige Unterfinanzierung und mehrmonatige Wartezeiten sind für Berater wie Schuldner eine große Belastung und schaden unterm Strich Schuldner wie Gläubigern. Sie haben nicht nur die wirtschaftliche Situation der Schuldner und den billigen Schuldenschnitt für sie im Blick, sondern leisten umfassend die Hilfe, die im Einzelfall erforderlich ist, um wieder selbstverantwortlich wirtschaften zu können.
Wo 35 Prozent gleichwohl nicht erreichbar sind, können passgenaue Lösungen im Einvernehmen mit den Gläubigern erarbeitet werden. Die Schuldnerberatungsstellen haben uns hier von guten Beispielen berichtet, dabei aber auch die Bedeutung der gerichtlichen Zustimmungsersetzung unterstrichen, die in den Fallzahlen dieses Verfahrens offenbar nur unzureichend zum Ausdruck kommt. Entgegen dem ursprünglichen Regierungsentwurf haben wir deshalb dieses Verfahren in der Insolvenz-ordnung gelassen, weil allein schon die Möglichkeit der Zustimmungsersetzung die Zustimmungsbereitschaft der Gläubiger zu einer vernünftigen individuellen Vereinbarung und damit die Chance auf außergerichtliche Einigungen deutlich erhöht.
Zusätzlich haben wir das Planverfahren für Verbraucherinsolvenzen eröffnet, sodass sich nun weitreichende Möglichkeiten vor und während des Insolvenzverfahrens bieten, durch Vereinbarungen mit den Gläubigern zu wirtschaftlich sinnvollen Vereinbarungen zu kommen und dabei einzelne obstruierende Gläubiger zu überstimmen. Damit knüpft dieses Gesetz an tragende Gedanken des ESUG an, das ebenfalls zu einer früheren Insovenz mit dem Ziel des Erhalts wirtschaftlicher Werte anstelle der Zerschlagung von Werten führt.
Ein weiterer wichtiger Aspekt dieser Reform ist die Stärkung der Gläubigerrechte. Anträge auf Versagung der Restschuldbefreiung können künftig nicht mehr nur im Schlusstermin geltend gemacht werden. Entscheidend ist, dass sie bis dahin zumindest schriftlich vorliegen müssen; bei später bekannt werdenden Gründen ist auch die nachträgliche Geltendmachung noch möglich. Ärgerliche Fälle, in denen auch unredliche Schuldner Restschuldbefreiung erlangen konnten, weil die Gläubiger den Aufwand der Antragstellung im Schlusstermin scheuten, sind damit für die Zukunft ausgeschlossen. Eine Stärkung der Erwerbsobliegenheiten des Schuldners im Insolvenzverfahren und seiner Auskunfts- und Mitwirkungspflichten erscheinen ebenfalls gerecht und sinnvoll.
Zugunsten der Schuldner, die Mitglied einer Wohnungsbaugenossenschaft sind, begründet das Gesetz nun erstmals den gleichen Kündigungsschutz wie für Mieter. Die Kündigung der Mitgliedschaft, die den Zugriff auf das Guthaben ermöglicht, aber zum Verlust des Wohnrechts führt, ist in Zukunft nicht möglich, wenn das Guthaben in etwa der Kaution in einem Mietverhältnis entspricht. Ein weiter gehender Schutz für höhere, gar unbegrenzte Genossenschaftsanteile war aber nicht möglich; dies hätte dem Wohnungsgenossen die Möglichkeit geschaffen, weitere Teile seines Vermögens vor dem Zugriff der Gläubiger zu sichern.
Der Referentenentwurf sah noch die Übertragung des Verbraucherinsolvenzverfahrens auf den Rechtspfleger vor, auch als Ausgleich zur Übertragung der Zuständigkeit im Insolvenzplanverfahren auf den Richter im ESUG. Dies haben wir nun – trotz der unzweifelhaft gegebenen fachlichen Kompetenz der Rechtspfleger – geändert, da nach Auffassung mehrerer Sachverständiger erhebliche Zuständigkeitskonflikte und Abgrenzungsprobleme drohten, etwa bei der bisweilen komplexen Abgrenzung der Verfahrensarten oder den teilweise kraft Verfassung dem Richter vorbehaltenen Sicherungsmaßnahmen. Die Übertragung der funktionellen Zuständigkeit auf den Rechtspfleger hätte im Übrigen zur Folge, dass jede Eröffnungsentscheidung des Rechtspflegers mit der Rechtspflegererinnerung anfechtbar wäre, während die Eröffnungsentscheidung durch den Richter nur nach Maßgabe des § 34 InsO der Anfechtung unterliegt. Die Anhörung hat auch nicht ergeben, dass infolge der Zuständigkeit des Insolvenzrichters für Insolvenzplanverfahren die Auslastung der Rechtspfleger signifikant zurückgegangen wäre.
Meines Erachtens wird das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte einen großen Teil dazu beitragen, Gerechtigkeit und Akzeptanz des Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahrens im privaten Bereich zu verbessern. Wir haben es geschafft, einen fairen Ausgleich zwischen dem Interesse der Schuldner an einem „fresh start“ und dem Interesse der Gläubiger an einer bestmöglichen Befriedigung ihrer rechtmäßig erworbenen Forderungen zu erreichen.
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