Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir beschäftigen uns zum wiederholten mal mit der besonderen Situation von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen und intersexuellen - alles fasst der Antrag unter dem Begriff "queer" zusammen- Jugendlichen.
Bündnis 90/Die Grünen fordern in ihrem Antrag neben einem Nationalen Aktionsplan das Einwirken des Bundes auf die Länder, um auf dieser Ebene wiederum Aktionspläne zu installieren. Zudem werden zahlreiche Maßnahmen genannt, die teilweise bereits in aktuellen Programmen integriert sind.
Wir führen zur Zeit eine vielfältige politische Diskussion über die steuerliche und sonstige Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften und Ehe, in der sich die unterschiedlichen Einstellungen zu allen "queeren" Lebensformen spiegelt. Viele Reaktionen, die ich dazu als Abgeordnete erhalte, zeigen ein breites Spektrum auf von Ablehnung bis Zustimmung, in allen Tonlagen. Gerade die ablehnenden Reaktionen zeigen: Diese Diskussion ist wichtig, und sie muss mit dem Ziel geführt werden, zu noch mehr Toleranz zu kommen. Es ist anscheinend z.B. noch nicht jedem klar, dass sich niemand seine sexuelle Orientierung oder Veranlagung aussucht. Wir müssen die aktuelle Diskussion nach den letzten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts dazu nutzen, hier nachzubessern. Viele Menschen haben in der Vergangenheit darunter gelitten, ihre sexuelle Orientierung nicht offenlegen zu können. Das müssen wir überwinden.
Nicht immer allerdings führen Aktionspläne und eine Vielzahl an Maßnahmen zu gewünschten Ergebnissen. Die gesellschaftliche Diskussion ist wichtig und kann hier mehr ausrichten, als gesetzliche Regelungen und offizielle Programme.
Fakt ist, wir haben in den letzten Jahren einiges erreicht. Heute ist das Klima für ein Outing grundsätzlich offener, als noch vor 20/30 Jahren. Die zahlreichen Förderinstrumente der Bundesregierung haben mit Sicherheit dazu beigetragen. Mit der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Grünen „Lesbische und schwule Jugendliche“ (BT-Drs. 17/2588) liegt eine detaillierte Bestandsaufnahme vor, die recht eindrucksvoll belegt, dass der Bund gerade in diesem Bereich umfangreich fördernd tätig ist. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterstützt über das Förderinstrument Kinder- und Jugendplan des Bundes aber auch über den gemeinsamen Haushaltstitel der Abteilungen Familie, Chancengleichheit und Ältere Menschen eine Vielzahl von Projekten zugunsten schwuler, lesbischer und transsexueller Jugendlicher. Im Bereich der außerschulischen Jugendbildung fördert das Familienministerium Träger und Angebote der politischen, kulturellen, sportlichen Bildung, die Jugendverbandsarbeit sowie die internationale Jugendarbeit. In allen Bereichen beschäftigen sich die Träger in ihren Angeboten vor Ort mit aktuellen Fragestellungen und Lebenswelten von Jugendlichen. Die Auseinandersetzung mit der eigenen - auch sexuellen - Identität ist ein Schwerpunkt der außerschulischen Bildung. Die Befassung mit schwul-lesbischen Themen ist auch über das fest im Kinder- und Jugendplan verankerte Querschnittsthema „Gender Mainstreaming“ gewährleistet.
Im Rahmen der Jugendverbandsarbeit und internationaler Austauschprogramme fördert das BMFSFJ speziell das Jugendnetzwerk Lambda e.V. – der Lesbisch-Schwule Jugendverband in Deutschland - in einer Höhe von derzeit jährlich 151.000 € . Zusätzlich wird das Projekt „Alle sind anders“ mit 10.800 € gefördert. Daneben werden regelmäßig weitere Einzelprojekte und die Verbandszeitschrift „out!“ gefördert, die ein bundesweites Forum für schwul-lesbische Jugendthemen bietet. Lambda vertritt die Interessen junger Lesben, Schwuler, Bisexueller und Transgender in der Öffentlichkeit und Politik und leistet Bildungs-, Beratungs- und Aufklärungsarbeit. Eine besondere Problematik lässt sich bei heranwachsenden mit Migrationshintergrund feststellen. Gerade in deren communities gehört homophobe Einstellung vielfach zur Normalität. Laut einer Studie fühlen sich viele Lesben und Schwule mit Migrationshintergrund in Deutschland zwar gut integriert und bewerten das gesellschaftliche Klima gegenüber Homosexuellen hier bei uns als positiver als in ihren Herkunftsländer. Innerhalb ihrer Familien und communities allerdings erfahren sie mehr Diskriminierung und verzichten deshalb oft auf ein offenes homosexuelles Leben. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen einen Beitrag auf der Internetseite der Bundeszentrale für politische Bildung mit dem Titel „Ein Ali kann nicht schwul sein - Was Aufklärer an einer Neuköllner Schule erleben“ ans Herz legen.
Auch das Deutsche Jugendinstitut erhielt im Jahr 2012 für die Pilotstudie „Lebenssituationen und Diskriminierungserfahrungen von homosexuellen Jugendlichen in Deutschland“ ca. 30.000 €. Dieses Projekt wird in diesem Jahr fortgeführt. Der Lesben- und Schwulenverband e.V. erhielt im Jahr 2012 über 120.000 € Fördermittel für Projektarbeit zur Verbesserung der Situation von LGBTTI-Jugendlichen. Gerade die Arbeit der Verbände und deren Netzwerke trägt aus meiner Sicht besonders dazu bei, die Benachteiligung von LGBTTI-Jugendlichen abzubauen und ein Klima von gegenseitigem Respekt und Anerkennung zu schaffen. Im Bereich der sportlichen Bildung haben Aktivitäten zugunsten von lesbischen, schwulen, transgenen und intersexuellen Jugendlichen einen hohen Stellenwert: So unternimmt etwa die vom Bundesfamilienministerium und dem Deutschen Fußball-Bund geförderte Koordinationsstelle „Fanprojekte“ regelmäßig und kontinuierlich Aktivitäten gegen Homophobie im Fußballsport. Unter dem ehemaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger - der sich über Jahren offensiv dafür einsetzte, das Tabu Homosexualität im Fußball abzubauen -wurden bei einem Länderspiel stadionweit Flyer gegen Diskriminierung und für die Akzeptanz von Homosexualität im Fußball verteilt.
In den Broschüren der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zur Sexualaufklärung und Familienplanung sind Themen für schwule, lesbische und transsexuelle Jugendliche, wie sexuelle Orientierung, Coming- out usw. bereits selbstverständlich integriert und finden Berücksichtigung sowohl bei den Jugendlichen als auch bei den Eltern. Das Thema wird als Querschnittsthema behandelt und findet sich mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Hier könnte mal geprüft werden, ob nicht ein größeres Angebot in mehreren Sprachen sinnvoll wäre.
Speziell zur Prävention von Suizidversuchen und Suiziden fördert das Bundesgesundheitsministerium Initiativen des Nationalen Suizidpräventionsprogramms für Deutschland (NASPRO), bei der sich eine Arbeitsgruppe speziell mit der Thematik Suizidprävention bei Kindern und Jugendlichen befasst. Die relativ hohe Selbstmordrate bei Jugendlichen in einer sexuellen Orientierungsphase ist wirklich bedrückend. Hier müssen wir alles daran setzen, dass jeder junge Mensch, der sich in einer schwierigen Phase der Selbstfindung befindet, die notwendige Hilfe und Unterstützung bekommen kann.
Letztlich muss ich feststellen, dass für die im Antrag angesprochenen Weiterbildungsprogramme für Lehrkräfte und Fachkräfte der örtlichen Kinder- und Jugendhilfe nach der im Grundgesetz festgeschriebenen Kompetenzverteilung die Länder und Kommunen zuständig sind. Dies gilt ebenso für die Bereitstellung von speziellen Notunterkünften und Wohnungsangeboten für Jugendliche, die von Obdachlosigkeit bedroht sind. Zu Ihrem Wunsch, die Pilotstudie noch vor der Sommerpause zu bekommen: Nach aktueller Auskunft aus dem BM FSFJ soll der Zwischenbericht bis zum 30. Juni vorgelegt werden. Es würde seitens der Ministerin bereits mehrfach angekündigt, dass es aus organisatorischen Gründern dabei bleibt, sämtliche Ergebnisse der Pilotstudie im Herbst 2013 als Abschlussbericht vorzulegen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen: Akzeptanz von Andersartigkeit ist (leider) meist ein länger andauernder Prozess innerhalb der Gesellschaft. Daran kann und sollte jeder einzelne mitarbeiten. Gesetzgeberische Maßnahmen können nur ein Element dabei sein. Jeder einzelne sollte den Mund aufmachen, wenn er Diskriminierung mitbekommt. Kann durch Argumente und Gespräche zum Umdenken anregen.
Das alles zeigt: Die Bundesregierung unterstützt den notwendigen Bewusstseinswandel mit einem breiten Spektrum von Maßnahmen. Jeder von uns kann in seinem Umfeld daran mitwirken.