Bürgeranfrage zum Thema: Rezo-Video

Sehr geehrte/r …,

es ist sicher nicht einfach, eine angemessene Antwort auf dieses Video zu geben.

Die Aussagen in dem Video von Rezo sind sehr pauschal, zugespitzt und auch emotional - was natürlich legitim ist, aber nur der Einstieg in eine sachliche Diskussion sein kann. Es ist jetzt kurzfristig zur Europawahl kaum möglich, in angemessener Weise zu Antworten. Zu vielen der angesprochenen Sachfragen gibt es viele Gegenargumente, die sowohl die Fakten in der Sache, als auch die politischen Verfahren (Wer hat welche Position vertreten, welche Alternativen und Wechselwirkungen waren mitzudenken, welche Kompromisse mussten gemacht werden, etc.) betreffen. Die von Rezo angegebenen Quellen sind zum Teil recht dünn. Dies jetzt im Detail zu widerlegen bringt aber meines Erachtens im gegenwärtigen Stadium nichts, das würde in dieser Rolle und unter dem Druck der Rechtfertigung als besserwisserisch, spießig etc. ausgelegt und das gezeichnete Image eher noch verfestigen. Auch der Hinweis, dass mit Angela Merkel die Arbeitslosigkeit und hohe Verschuldung bei Amtsübernahme überwinden wurde, dass die Wirtschaftskrise nach der Lehmann-Pleite hervorragend gemanagt, in der Euro-Krise für (keineswegs selbstverständliche!) Stabilität und letztlich funktionierende Lösungen gesorgt wurde und auch in der Flüchtlingssituation humane Antworten gefunden werden konnten, lassen mich zu einer anderen Bewertung kommen, ist aber zur Zeit kaum zu vermitteln. An einigen Vorwürfen ist allerdings auch etwas dran, und da kann die Diskussion, die durch das Video, aber auch durch die Diskussionen zum Urheberrecht und zum Klimawandel angestoßen wurde, auch Veränderungen bewirken.

Mittlerweile haben sich einige Faktenchecker und andere YouTuber auf den Weg gemacht, dass Video und die Aussagen von Rezo kritisch zu bewerten.

Die CDU hat dazu eine umfangreiche, sachliche Stellungnahme vorgenommen, die ich Ihnen anbei verlinke: https://www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/wie-wir-die-sache-sehen.pdf

Verweisen möchte ich außerdem auf den Artikel (https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/rezos-anti-cdu-video-propaganda-von-der-ganz-feinen-sorte-16202294.html) und vor allem auf den Offenen Brief von Ruprecht Polenz, früherer Generalsekretär der CDU Deutschland, nachzulesen auf seinem Facebook-Account. Zwei Punkte, die er anspricht, kritisiere auch ich ausdrücklich: Rezo macht es sich beispielsweise sehr leicht mit seiner Kritik am Einsatz gegen den IS. Hätte er es verantworten wollen, dass dem unfassbar brutalen Morden, dem Völkermord gegen die Jesiden, der Versklavung und Vergewaltigung von Frauen und Mädchen tatenlos zugeschaut wird? Der militärische Einsatz trifft ohne Frage auch Unschuldige, aber das lässt sich m.E. nicht gegen die Untaten des IS aufrechnen. Unberechtigt ist auch die pauschale und persönliche Kritik an Politikern insgesamt. Und: Was z.B. ehrenamtliche Politiker - in Rezos Welt „CDU-Dullies“ leisten, die sich in ihrer Freizeit in der Kommunalpolitik engagieren, wird vielen erst bewusst werden, wenn alle die Lust daran verloren haben und es keiner mehr macht. Dazu trägt ein solcher Frontalangriff auf die Politik aus sicherer Distanz und (vermutlich) ohne eigene Kenntnis der Abläufe und der Arbeit, die konstruktive Politik auf allen Ebenen verlangt, sicher bei. Auch den allermeisten Berufspolitikern macht er unberechtigte Vorwürfe; da bin ich natürlich befangen, aber zur weiteren Diskussion gerne bereit!

Das alleine kann aber nicht unsere Antwort auf eine Diskussion sein, die so große Resonanz findet und offenbar gerade unter jungen Leuten einen Nerv trifft. Neben der Widerlegung falscher Behauptungen muss es auch darum gehen zu zeigen, für was die Union in ihrer ganzen breite als Volkspartei steht. Am vergangenen Wochenende fand beispielsweise die Bundestagung der CDA (das ist die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft) statt, deren Stellvertretende Landesvorsitzende in NRW ich bin. Schauen Sie sich gerne die Beschlüsse, oder auch nur den Leitantrag an: https://www.cda-bund.de/data/pdf/2019/05/22/2-5ce52cf3157ba.pdf

Sie werden merken, die Themen des Niedriglohnsektors, der geringen Renten (wir haben ein eigenes Grundrentenkonzept, genannt Plus-Rente), der Aus- und Weiterbildung, der bezahlbaren Mieten und vieles mehr wird dort bearbeitet und in die CDU getragen. Als Volkspartei haben wir mit der MIT auch einen starken Wirtschaftsflügel, der seine Expertise und berechtigte Interessen aus der Sicht der (v.a. mittelständischen) Wirtschaft in die Diskussion einbringt.

Das ist unser Konzept und Selbstverständnis als Volkspartei, um so die besten Antworten auf die immer neuen, wichtigen Fragen unseres Landes zu finden und so Kompromisse und letztlich mehrheitsfähige Entscheidungen zu finden. Jeder, der in der Demokratie Politik macht, weiß, dass die Abwägungen zwischen mehreren wichtigen, aber leider gegenläufigen Interessen und das Finden von Kompromissen in der Realität schwieriger ist, als sich das manch einer vorstellt. So führen wir aktuell auch intern natürlich bewegte Debatten, wie wir immer neu Ökologie, Marktwirtschaft und solidarische Soziale Sicherheit in Einklang bringen. Das dauert manchmal länger als bei kleinen und auf eine bestimmte Klientel ausgerichtete Parteien, aber dafür nehmen wir dann als Volkspartei bereits in der internen Willensbildung viele gesellschaftliche Einflüsse mit auf.

Worum ich mich Sorge, ist eine schwindendes Verständnis dafür, wie wir in unserer Demokratie zu Entscheidungen kommen. Diese Fragen muss sich auch die junge Generation stellen. In den letzten Monaten hat sich hier eine Spaltung aufgetan, die wir nicht vertiefen dürfen. Ich sehe es positiv, dass sich so viele junge Menschen wieder für Politik interessieren und für ihre Themen und Überzeugungen auf die Straße gehen. Noch besser wäre es, wenn sie dafür auch in die Parteien, die Rathäuser und Parlamente gehen, wo ihre Ideen für die konstruktive, gestaltende Politik gebraucht werden. Denn jede Generation muss ihre Entscheidungen selbst und neu treffen, von den klassischen Verteilungsfragen bis hin zu den Veränderungen infolge zunehmender Globalisierung und Digitalisierung. Ich werden im Juli und August zwei offene Treffen mit Jugendlichen anbieten, um jenseits von Wahlkämpfen darüber ins Gespräch zu kommen.

Viele Grüße

Elisabeth Winkelmeier-Becker