Sehr geehrte/r,
vielen Dank für Ihr Schreiben zur EU-Richtlinie 2008/50/EG. Als die für Ihren Wahlkreis zuständige Abgeordnete beantworte ich Ihr Schreiben auch im Namen von Herr Dr. Röttgen, dem Sie ebenfalls in dieser Sache geschrieben hatten. Sie kritisieren die strengen Grenzwerte für den Straßenverkehr.
Ich kann als Juristin nicht wirklich für mich in Anspruch nehmen, die Auswirkungen von Stickoxid-Konzentrationen und die Berechtigung dieser Werte aus eigener Kenntnis zu beurteilen. Das Umweltbundesamt begründet die großen Unterschiede damit, dass der Kreis der zu schützenden Betroffenen unterschiedlich ist, ebenso wie die Dauer einer möglichen Exposition: „Der EU-Grenzwert (Jahresmittelwert) für die Stickstoffdioxidkonzentration (NO2) in der Außenluft beträgt 40 µg/m³ – der Arbeitsplatzgrenzwert ist mit 950 µg/m³ wesentlich höher. Der Arbeitsplatzgrenzwert hat unter anderem einen anderen Zeit- und Personenbezug als der Grenzwert für die Außenluft: Der Wert gilt für gesunde Arbeitende an acht Stunden täglich und für maximal 40 Stunden in der Woche. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die berufsbedingt Schadstoffen ausgesetzt sind, erhalten zusätzlich eine arbeitsmedizinische Betreuung und befinden sich somit unter einer strengeren Beobachtung als die Allgemeinbevölkerung.
Stickstoffdioxid in der Außenluft sind hingegen alle Menschen rund um die Uhr ausgesetzt, wenngleich die Konzentration je nach Aufenthaltsort schwanken kann. Gerade empfindliche Personen wie Kinder, Schwangere, alte Menschen oder Menschen mit Vorerkrankungen wie Asthma reagieren zum Teil wesentlich sensibler auf Umwelteinflüsse. Grundlage von Grenzwerten für Schadstoffe in der Außenluft sind deren langfristige, über Jahrzehnte hinweg in Studien beobachtete gesundheitliche Auswirkungen auf die jeweils untersuchten Bevölkerungsgruppen... Der EU-Grenzwert für die Konzentration von Stickstoffdioxid in der Außenluft im Jahresmittel stimmt mit den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) überein. Der Grenzwert wird aufgrund bevölkerungsbezogener Studien abgeleitet, die auch empfindliche Personengruppen und empfindliche Zeiträume des Lebens einbeziehen. Somit sind für die Beurteilung des Gesundheitsschutzes der Allgemeinbevölkerung vor Stickstoffdioxid in der Außenluft der EU-Grenzwert, respektive der WHO-Richtwert in Höhe von 40 µg/m³ im Jahresmittel heranzuziehen.“
Dabei gebe ich zu: es macht auch mich stutzig, dass der Unterschied so gravierend ausfallen soll. Ich halte es für problematisch (allerdings nicht einfach zu ändern!), dass diese Werte so absolut gesetzt sind; auch andere wichtige Rechtsgüter und Interessen sind betroffen, so dass eine Abwägung im Einzelfall möglich sein müsste. Dabei unterstütze ich allerdings nachdrücklich, dass wir negative Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt auch gegenüber privater Mobilität und gegenüber wirtschaftlichen Interessen insgesamt höher gewichten müssen, als dies bisher oft der Fall ist (etwa beim Thema Nachtflug!). Für die juristische Bewertung ist allerdings maßgeblich - gerade auch für gerichtliche Verfahren, in denen über mögliche Fahrverbote entschieden wird - dass der ambitionierte Wert von 40 µg/m³ im Jahresmittel in Deutschland geltendem Recht und gemeinsamen europäischen Grenzwerten entspricht. Eine erhebliche Veränderung der Grenzwerte könnte nur hier ansetzen und setzt eine entsprechende Entscheidung auf europäischer Ebene voraus. Der wichtigste Ansatz zur Lösung der damit verbundenen Probleme liegt meines Erachtens in einem Maßnahmenbündel, mit dem die Emissionen von Diesel-KfZ und aus anderen Quellen spürbar gesenkt werden können.
Wir müssen insgesamt über nachhaltige Lösungen sprechen - sei es im Straßenverkehr, am Arbeitsplatz oder bei der Energiegewinnung. Es wurden deshalb erhebliche Summen für die Modernisierung kommunaler Fahrzeugflotten und die technische Nachrüstung von Fahrzeugen bereitgestellt, um den verkehrsbedingten Stickoxidausstoß zu reduzieren. Wir brauchen u.a. auch eine kluge Verkehrsplanung, um den Verkehr fließend zu halten und stadtentwicklungspolitische Ansätze, um den Zuzugssog in die städtischen Ballungszentren zu reduzieren. Hier sind die Kommunen gefordert, ihre Gestaltungsmöglichkeiten zu nutzen. Das Problem bleibt auf der Tagesordnung!
Mit freundlichen Grüßen
Elisabeth Winkelmeier-Becker