Antwort auf Bürgerschreiben zu §219a StGB - Werbeverbot bei Abtreibungen

Sehr geehrte/r …,

[…]

Sie kritisieren meine Haltung gegen eine Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibung. Ich möchte Ihnen deshalb erläutern, wofür ich stehe und warum damit Werbung für Abtreibung nicht vereinbar wäre: im Ergebnis halte ich die geltende Regelung für richtig, weil sie auf den Schutz des Lebensrechts des Kindes gerichtet ist, aber auch das Selbstbestimmungsrecht der Mutter respektiert.

Der Staat ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet, das Lebensrecht des Kindes zumindest dadurch zu schützen, dass er eine wirksame Beratung zum Leben vorsieht. In dieser Beratung, wie sie im Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt ist, geht es deshalb nicht nur um medizinische Fragen zum Schwangerschaftsabbruch, sondern auch darum, konkrete Hilfen für ein mögliches Leben mit dem Kind aufzuzeigen. Hier kann im geschützten Raum mit einer qualifizierten Beraterin über die Gesamtsituation, auch über die eigenen Empfindungen und Wünsche der Frau gegenüber dem häufig empfundenen Druck zur Abtreibung durch den Partners oder die Familie gesprochen werden. Die Beratung ist auf Ermutigung zum Leben gerichtet, aber ergebnisoffen und nicht moralisierend. Hier wird die schwierige Konfliktlage der Mutter anerkannt, denn das Kind kann letztlich nicht gegen die Mutter werden. Der Staat sieht deshalb - obwohl höchste Rechtsgüter auf dem Spiel stehen und deshalb auch von Rechtswidrigkeit der Schwangerschaftsabbruchs (ohne besondere Indikation bei medizinischen Gründen oder nach einer Vergewaltigung) auszugehen ist - von strafrechtlichen Sanktionen gegenüber der Mutter ab; das Strafrecht „schweigt“ angesichts des Konflikts mit höchstpersönlichen eigenen Rechten der Mutter, ihre Entscheidung wird akzeptiert unter der einzigen Voraussetzung der vorherigen Beratung und Einhaltung einer Wartefrist von 3 Tagen; zusätzlich ist geregelt, dass derjenige, der die Beratung vornimmt, nicht auch derjenige sein darf, der den Abbruch vornimmt.

Es bleibt außerdem bei der Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs und bei der Pflicht des Staates, ein allgemeines Bewusstsein für das Lebensrecht des Kindes und die Rechtswidrigkeit der Abtreibung in der Öffentlichkeit aufrecht zu erhalten. All dies entspricht einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.

Die Verfassungsmäßigkeit der Regelung steht und fällt damit, dass die Beratung wenigstens die Chance auf einen effektiven Schutz des Lebensrechts eröffnen muss. Werbung für Abtreibung, die die Beratung zum Leben konterkarieren würde, ist damit nicht vereinbar. Bei Abschaffung des Werbeverbots wäre sonst eine ungeregelte (nicht völlig unsachliche oder grob anstößige) Werbung für Abtreibungskliniken oder durchführende Arztpraxen im Internet, aber auch in Zeitschriften oder öffentlichen Plakaten (z.B. in der S-Bahn) möglich, wie bisher etwa auch für Kinderwunschzentren oder Schönheitsoperationen und -kliniken. Dies stünde im klaren Widerspruch zu der Rechtswidrigkeit der Handlung und zu dem Auftrag des Staates, ein Bewusstsein für Lebensrecht des Kindes und Rechtswidrigkeit der Handlung zu erhalten.

Es wird eingewandt, dass damit das Informationsrecht von Frauen beeinträchtigt werde. Es stehen allerdings ohne jede Einschränkung alle medizinischen Informationen zur operativen oder medikamentösen Abtreibung im Internet, Büchern, Broschüren u.a.m. jeder und jedem zur Verfügung. Es gibt hierzu also keinerlei Informationsdefizit, das erst von Anbietern durch öffentliche und allgemeine Informationen geschlossen werden müsste. Unbenommen bleibt selbstverständlich auch die Pflicht und das Recht zur individuellen medizinischen Beratung zwischen Arzt und Patientin, sei es bei Feststellung der Schwangerschaft oder vor dem Eingriff.

Adressen der Ärzte werden von den Beratungsstellen weiter gegeben, die ihrerseits unschwer z.B. im Internet aufzufinden sind. Die Adressen können außerdem selbstverständlich vom „eigenen“ Gynäkologen der Frau (wenn dieser nicht ohnehin selbst zur Durchführung eines Abbruchs bereit ist), anderen Ärzten oder dem Gesundheitsamt benannt werden; Hamburg hat etwa eine Liste von ca. 80 Praxen ins Netz gestellt. Es gibt insoweit kein Tabu oder Redeverbot. Sanktioniert wird lediglich die öffentliche Information durch den Anbieter/die Anbieterin selbst, weil die allgemeine Sorge besteht, dass dort wegen eines möglichen wirtschaftlichen Eigeninteresses das Lebensrecht des Kindes nicht genügend berücksichtigt werden könnte; das Beispiel der Ärztin Kristina Hänel, die in Bezug auf den Embryo lediglich von „Schwangerschaftsgewebe“ spricht, drängt sich auf. Dass es bei Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch - von Einzelfällen, deren Gründe geklärt und abgestellt werden müssten - ein ernsthaftes Problem geben könnte, einen zur Abtreibung bereiten Arzt zu finden, ist bei über 100.000 registrierten Abtreibungen mit steigender Tendenz nicht plausibel. Denn nochmals: Informationen über Arztadressen durch die Beratungsstellen ebenso wie durch öffentliche oder neutrale Stellen, durch ärztliche Kollegen u.a.m. werden durch § 219a StGB in keiner Weise eingeschränkt.

Aus dem Blick der Ärzte wird eingewandt, dass sie bei bloßer Information über ihr Angebot bereits unter dem Risiko strafrechtlicher Sanktionen stünden; dies sei nicht zumutbar und mit ihrer Berufsfreiheit, Artikel 12 GG, nicht zu vereinbaren. Abgesehen davon, dass fast alle staatsanwaltlichen Verfahren nach Hinweis auf das Werbeverbot und Änderung des Internetauftritts eingestellt werden, drohen selbst bei mehrfachen Wiederholungen nicht etwa Sanktionen wie Berufsverbot o.ä., sondern wie im Fall von Frau Hänel selbst beim dritten Verstoß nur eine Strafe von z.B. 40 Tagessätzen, vergleichbar einer Strafe für einfache Körperverletzung o.ä.. Damit ist im Ergebnis ausgeschlossen, dass ein Arzt bei bloßem Irrtum über die Rechtslage bereits strafrechtlichen Sanktionen ausgesetzt wäre. Es ist meines Erachtens angesichts der Bedeutung von Lebensrecht und Selbstbestimmung auch jedenfalls eine zulässige Einschränkung der Berufsausübung, wenn die Werbung für das eigene ärztliche Angebot ausgeschlossen wird, wie es etwa auch in Bezug auf das Werbeverbot für verschreibungspflichtige Medikamente allseits akzeptiert ist. Es geht an dieser Stelle auch darum, für alle Ärzte gleiche Regeln gelten zu lassen; das wird gewährleistet, wenn die Informationen über Anbieter von neutralen Stellen, insbesondere von den Beratungsstellen vermittelt werden, denen die Ärzte ihr Angebot unproblematisch zur Kenntnis geben können. Wer als Arzt dagegen verstößt, verschafft sich schlichtweg einen Wettbewerbsvorteil gegenüber seinen Mitbewerbern, die sich an die Regeln halten, und sollte seine Patientenakquise nicht als aufopferungsvolle Hilfe für Frauen in Notlagen darstellen. Aktionen von einigen Personen oder Vereinen, die Ärzte gezielt anprangern, unterstütze ich allerdings nicht; denn das medizinisch sichere Angebot eines Schwangerschaftsabbruchs gehört zu einer ernst gemeinten, ergebnisoffen Beratung dazu.

In diesem Sinn halte ich die geltende Regelung mit Beratung und Hilfe für die Frau und Akzeptanz ihrer Entscheidung für richtig. Das Werbeverbot hat darin seine Bedeutung, indem es die Wirksamkeit der Beratung schützt und ergänzt.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen meine Auffassung hiermit zumindest nachvollziehbar erläutern.

Freundliche Grüße

Elisabeth Winkelmeier-Becker

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