Rede zur Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) 2./3. Lesung

Herr Präsident,
sehr geehrte Frau Ministerin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir beraten heute abschließend über die Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie und über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Einführung erstinstanzlicher Zuständigkeiten des Oberlandesgerichts in aktienrechtlichen Streitigkeiten.

Durch die Umsetzung der EU-Richtlinie machen wir das Recht der Hauptversammlungen fit für die Zukunft: die Anteilseigner können, wenn die Satzung es so vorsieht, zukünftig online oder per Briefwahl an den Hauptversammlungen teilnehmen; die für die Hauptversammlung erforderlichen Unterlagen kann die Aktiengesellschaft auf ihre Seite im Internet stellen. Damit ermöglichen wir die grenzüberschreitende Durchführung von Hauptversammlungen und erhöhen gleichzeitig die Teilnehmerzahlen und damit die demokratische Legitimationsgrundlage für Beschlüsse.

Zur Verringerung des Verwaltungsaufwandes regeln wir in Anlehnung an das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) Ausnahmen von der bisherigen obligatorischen Gründungsprüfung bei Kapitalerhöhungen mit Sacheinlagen. Wenn also beispielsweise Vermögensgegenstände eingelegt werden sollen, für deren Bewertung eindeutige Anhaltspunkte vorliegen, kann von dieser Erleichterung Gebrauch gemacht werden. Die Gründungsprüfung bleibt allerdings obligatorisch, wenn aufgrund besonderer Umstände, wie bei dem zwischenzeitlichen Aussetzen des Handels mit den betreffenden Papieren, eine sichere Bewertung der Einlagengegenstände im Einzelfall nicht möglich ist.

Ein weiterer Gegenstand der Richtlinie ist die Deregulierung der Fälle, in denen sich Aktionäre mit ihren Stimmrechten durch Kreditinstitute vertreten lassen – das sogenannte Depotstimmrecht. Den Aktionären bleibt die Möglichkeit erhalten, durch eine Dauervollmacht einen unbürokratischen Weg zur Stimmrechtsausübung zu wählen. Einzelweisungen sind dementsprechend zur Stimmrechtsausübung nicht erforderlich. Dem Vorschlag, dass Banken bei fehlender Einzelweisung einfach dem Abstimmungsverhalten der Unternehmensverwaltung folgen müssten, sind wir aus guten Gründen nicht nachgekommen.

Nach der neuen Regelung hat das depotführende Kreditinstitut zwei Möglichkeiten, die Vollmacht für Fälle fehlender Einzelweisung zu gestalten: Entweder es erarbeitet eigene Abstimmungsvorschläge in Anlehnung an die geltende Rechtslage und stimmt bei fehlender Einzelweisung in diesem Sinne oder das Kreditinstitut lässt sich eine generelle Weisung geben, nach der es im Sinne der Verwaltung bzw. bei abweichenden Verwaltungsvorschlägen im Sinne des Aufsichtsrats abstimmt. Auch dies sind praktikable Vorgaben, die zu begrüßen sind.

Viel mehr als die eher technischen – und weitgehend unstreitigen - Änderungen durch die Aktionärsrechterichtlinie hat uns im Rechtsausschuss die Frage bewegt, wie die einhellig beklagten Anhäufung von Unzulänglichkeiten des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts zumindest teilweise zu reparieren ist.

Hier stehen die Praktiken des sogenannte „räuberischen Aktionärs“ im Schlaglicht.

In den letzten Jahren hat sich eine Anfechtungs-Industrie von einigen wenigen Aktionären etabliert. Dabei werden Hauptversammlungsbeschlüsse mit der Wirkung angefochten, dass ihre Eintragung und damit die Ausführung der beschlossenen Maßnahmen verschleppt wird. Die betreffenden Aktionäre lassen sich die Rücknahme ihrer Anfechtungen meist in Vergleichen teuer bezahlen. Es geht ihnen folglich nicht um die Einhaltung von Aktionärsrechten, sondern lediglich um das Erlangen hoher Geldbeträge. Daher wäre der „räuberische Aktionär“ wohl treffender als „erpresserischer Aktionär“ zu bezeichnen.

Und dieses Geschäft lohnt sich: Ist der gerichtliche Streitwert bei aktienrechtlichen Gegenständen noch auf 500.000,- Euro begrenzt, so sind schon die Vergleichssummen im zweistelligen Millionenbereich keine Ausnahme. Grund ist der sogenannte Vergleichsmehrwert, durch den mit horrenden Vergütungsforderungen von Rechtsanwälten ein künstlicher Schaden erzeugt wird, den die Gesellschaft durch Vergleichszahlungen kompensiert.

Diesen Praktiken sagen wir mit dem Gesetz nun den Kampf an. Dabei versuchen wir, mit verschiedenen Mitteln anzusetzen:

Zum einen korrigieren wir einige Regelungen zum aktienrechtlichen Freigabeverfahren. Durch dieses Verfahren, welches mit dem Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) im Jahr 2005 eingeführt wurde, besteht für die Gesellschaft die Möglichkeit, trotz erfolgter Anfechtung in bestimmten Fällen zur Umsetzung des Beschlusses zu gelangen. Mit einem Quorum im Freigabeverfahren soll nun erreicht werden, dass Trittbrettfahrern von Klägern die Arbeit erschwert wird. Die Anteilseigner müssen zukünftig einen Aktienanteil im Nennwert von 1.000,- Euro halten, damit die Gesellschaft im aktienrechtlichen Freigabeverfahren den Hauptversammlungsbeschluss nicht trotz erfolgter Anfechtung umsetzen kann. Dies entspricht im Regelfall einem Börsenwert von 10.000,– bis 20.000,- Euro.

Bei der Bemessung der Höhe des Quorums besteht der Zielkonflikt, einerseits den missbräuchlich klagenden Aktionären die Fortsetzung ihrer erpresserischen Strategie zu erschweren, andererseits nicht mit einem Federstrich sämtlichen redlichen Klein- und einer Vielzahl von Minderheitsaktionären die Möglichkeit aus der Hand zu nehmen, auch im Freigabeverfahren eine Eintragung eines Hauptversammlungsbeschlusses zu verhindern. Denn eines muss uns auch bewusst sein: Die redlichen Anfechtungen haben seit jeher auch auf Schwachstellen und Lücken im Aktienrecht hingewiesen und somit zu einem stetigen Korrekturprozess im Aktienrecht beigetragen. Die unredlichen – weil aus rein sachfremden Erwägungen erfolgenden Anfechtungen – sind hier ein schwer zu isolierendes Phänomen.

Der entscheidende Aspekt, den die erpresserischen Aktionäre ausnutzen, ist die zeitliche Verzögerung, die der gerichtliche Instanzenzug mit sich bringt. Dies betrifft wiederum in besonderem Maße das Freigabeverfahren. Folglich bestand in den Beratungen ein breiter Konsens zwischen den Fraktionen, dass das Freigabeverfahren auf eine Instanz beschränkt werden muss.

Ich bin froh, dass wir, anders, als es der Regierungsentwurf vorsah, die Oberlandesgerichte mit dieser Zuständigkeit betrauen werden. Dies entspricht dem gleichlautenden Gesetzentwurf des Bundesrats. Schließlich sind es dieselben Senate, welche neben dem Freigabeverfahren auch im Hauptsacheverfahren letztinstanzlich entscheiden werden, da in der Vergangenheit kaum ein einschlägiger Rechtsstreit in der ersten Instanz beendet wurde. Es wäre ein zumindest unglücklicher Zustand, sollte das Oberlandesgericht eine Entscheidung in der Hauptsache treffen, die vom Landgericht im Freigabeverfahren völlig anders bewertet wird.

Es ist sinnvoll, hier nach drei Jahren eine Evaluierung vorzunehmen und zu überprüfen, ob die Neuregelung tatsächlich zu kürzeren Verfahrensdauern und schnellerer Rechtssicherheit für Gesellschaften und Aktionäre geführt hat. Das Ergebnis sollte in eine größere Reform des Beschlussmängelrechts Eingang finden.

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses enthalten folglich gleich zwei Aufforderungen an den 17. Deutschen Bundestag:

Erstens: Die Evaluation der erstinstanzlichen Zuständigkeit der Oberlandesgerichte im aktienrechtlichen Freigabeverfahren bis Ende 2011.

Zweitens: Die Aufforderung an den nächsten Deutschen Bundestag, eine umfassende Reform des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts auf dem Weg zu bringen.

So müssen wir dem Missbrauch von Anfechtungs- und Klagemöglichkeiten im Recht der Aktiengesellschaften weiteren Boden entziehen.

In Hinblick auf diese notwendige Reform möchte ich einige Stichpunkte nennen, die in der großen Koalition bisher kontrovers diskutiert werden:

Zu nennen ist die Befristung der Nichtigkeitsklagen. Aktuell ist die Praxis zu beobachten, dass sich klagende Aktionäre bis zu einem späteren Zeitpunkt Nichtigkeitsgründe „aufsparen“, um nach dem Verstreichen mehrerer Monate erneuten Druck auf die Gesellschaften ausüben zu können und weiter erpresserisch tätig werden können. Wenn wir es ernst meinen mit dem Schutz redlicher Aktionäre und der Gesellschaften, so muss auch hier eine sinnvolle Regelung gefunden werden.

Auch die Frage, ob in der im Freigabeverfahren durchzuführenden Interessenabwägung nicht auch die Interessen der nichtklagenden, aber dennoch vom jeweiligen Beschluss betroffenen Aktionäre, gewichtet werden, muss neu beantwortet werden.

Schließlich sind weiter reichende Ansätze, wie die Trennung der vorzeitigen Eintragung von der dauerhaften Bestandskraft zu diskutieren. Dann wäre es möglich, dass die Rechtsfolgen erfolgreicher Anfechtungen nicht auf Schadenersatzzahlungen beschränkt sind, sondern dass die Umsetzung rechtswidriger Beschlüsse auch – zumindest ex nunc – rückgängig gemacht werden kann.

Es bleibt trotz des heute zu verabschiedenden Gesetzes also viel zu tun im Beschlussmängelrecht. Mit dem ARUG ist der große Wurf im Beschlussmängelrecht nicht geschafft. Sicher ist dieses Gesetz aber ein Schritt in die richtige Richtung.

Ein kleiner Kritikpunkt bleibt: Leider hat es das zuständige Bundesministerium der Justiz nicht vermocht, bis zum Tag der abschließenden Beratungen im Rechtsausschuss eine Bewertung der Bürokratiekosten für den Gesetzentwurf vorzunehmen. Die entsprechende Zusage der Bundesregierung gegenüber dem Normenkontrollrat muss natürlich eingehalten werden. Auch wenn mit der Umsetzung des Gesetzes sicher keine Steigerung der Bürokratiekosten verbunden ist, so geht es doch nicht an, diese Zusage gewissermaßen wortlos am Parlament vorbei im Sande verlaufen zu lassen. Diese Praxis darf nicht „Schule machen“ – daher spreche ich diesen Punkt an dieser Stelle ausdrücklich an.


Vielen Dank.

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