Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Taten, über die wir heute sprechen, sind wirklich erschütternd. Die Fallzahlen, die wir zur Kenntnis nehmen müssen, machen uns sehr betroffen. Solche Taten verletzen die Würde, die Integrität, die körperliche und seelische Gesundheit der Opfer. Sie bekommen in der Tat lebenslänglich. Die Verarbeitung solcher Taten dauert Jahre, und oft hört das Leid, das dadurch verursacht wurde, niemals auf.
Deshalb müssen wir uns hier die Frage stellen, wie wir damit umgehen und welche Konsequenzen wir ziehen. Mir ist wichtig, an den Anfang zu stellen, dass bei der Erarbeitung möglicher Konsequenzen die Perspektive der Opfer in den Vordergrund gestellt werden muss. Die möglichen Konsequenzen müssen außerdem auf ihre Wirksamkeit geprüft werden. Es geht nicht vorrangig darum, Täter zu schützen und sie zu therapieren. Man muss die Sicht der Opfer berücksichtigen, wenn es darum geht, herauszufinden, was nötig ist.
Es geht um Aufarbeitung, um Aufklärung, um Bestrafung der Täter. Es geht aber auch um Schadensersatz nach dem Zivilrecht. Einerseits geht es um Geld, das helfen kann, Therapien zu finanzieren. Andererseits ist damit auch eine Genugtuungswirkung verbunden, da der Täter an dieser Stelle noch einmal zur Verantwortung gezogen wird. Wir brauchen darüber hinaus Veränderungen in den Einrichtungen, bei den Trägern. Wir brauchen Hilfe für Menschen mit pädophilen Neigungen; das ist hier bereits erwähnt worden. Wir müssen bei den Kindern ansetzen, sie sensibilisieren und sie starkmachen, sodass sie sich trauen, Nein zu sagen, und sich wehren können, aber auch sich äußern können, wenn etwas passiert ist, und sich gegen weitere Übergriffe wehren können.
Ich empfehle, bei den Dingen anzusetzen, die in unserem Handlungsbereich liegen. Bereits angesprochen wurden die Änderungen im strafrechtlichen Bereich. Sinnvoll ist zum Beispiel die Verlängerung der Verjährungsfrist; denn eine dreijährige Verjährung ab dem 21. Geburtstag bei zivilrechtlichen Ansprüchen ist zu kurz. Wir erleben aufgrund der bekannt gewordenen Fälle gerade jetzt, dass das Bewusstsein, dass einem massives Unrecht angetan worden ist, und die Fähigkeit, darüber zu reden, manchmal erst später eintreten. Die Opfer können meist erst in einem fortgeschritteneren Alter darüber sprechen, da die Verletzung so tief liegt. Dies soll nicht den Täter vor Strafe oder vor zivilrechtlicher Verfolgung schützen. Wir brauchen vielmehr einen Schutzraum für die Opfer. Deshalb müssen wir prüfen, was wir in Bezug auf die Verjährungsfristen tun können.
Auch hinsichtlich der Straftatbestände gibt es Wertungswidersprüche. Selbst wenn man das flüchtige Berühren über der Kleidung nicht dramatisieren muss, kann man Wertungswidersprüche nicht stehen lassen. Sexuelle Nötigung bei Erwachsenen stellt ein Verbrechen dar. Eine vergleichbare Tat kann im Grundtatbestand bei Kindern nicht nur als Vergehen bewertet werden.
Wir müssen näher an die Kinder herankommen. Wir müssen ihnen Ansprechpartner in ihrem Umfeld zur Verfügung stellen, zu denen sie Vertrauen aufbauen können. Das geht aber natürlich nicht per Dekret. Gerade dies ist Aufgabe des runden Tisches. Er ist unter anderem sinnvoll, weil man dort mit den betroffenen Institutionen darüber sprechen kann, welche strukturellen Veränderungen helfen, damit Kinder genau dieses Angebot vorfinden können.
Meine Damen und Herren, es sind schon viele Aspekte angesprochen worden. Ich möchte nicht alles wiederholen, aber noch einmal darauf eingehen, welche Strukturen wir vielleicht verändern müssen, wie wir da herangehen müssen, und da beginnen mit einer Einschätzung von Zartbitter Köln, nämlich dass es tatsächlich einen Zusammenhang gibt zwischen der Häufigkeit von sexuellem Missbrauch und der Struktur einer Organisation.
Offene, klar organisierte Strukturen, ein Mitspracherecht, Möglichkeiten, sich zu beschweren, helfen gegen Missbrauchsanfälligkeit. Wenn die Persönlichkeit des Kindes ernst genommen wird, wenn – das ist nicht wirklich überraschend – nicht zu viel Autorität herrscht, aber auch kein diffuses Laisser-faire – damit zitiere ich die Leiterin von Zartbitter Köln –, wird Missbrauch nicht begünstigt. In beiden Extremen ist den Kindern nicht geholfen. Demokratische, offene, klare Strukturen sind das, was hilft. Das muss der Maßstab sein für alle Strukturveränderungen, die in Institutionen diskutiert und in Angriff genommen werden.
Erschreckend ist, dass anscheinend auch ein hoher moralischer Anspruch nicht davor schützt, dass Missbrauch passiert, sondern ihn sogar noch schlimmer machen kann. Ich möchte aber auch betonen, dass es bei dem moralischen Anspruch, mit dem die Institutionen – die Reformpädagogen, aber auch die Kirchen – wirken, gerade darum geht, das Wohl des Menschen, das Wohl des Kindes in den Mittelpunkt zu rücken. Die Anliegen dieser Institutionen, auch die Glaubensbotschaft, dürfen nicht insgesamt dadurch diskreditiert werden, dass in ihren Einrichtungen Taten begangen worden sind, die Missbrauch darstellen.
Ich schließe mich hier Heiner Geißler an, der mit seiner Kritik an den Strukturen ja nicht gerade zimperlich ist. Er hat aber auch ganz klar gesagt: Aus seiner Erfahrung als Jesuitenschüler sind die Vorfälle in den Orden keine typischen Vorfälle. Die kirchliche Botschaft besagt ganz klar: Wer einem Kind etwas antut, der wäre besser mit einem Mühlstein um den Hals im Meer versenkt worden.
Deshalb glaube ich der Kirche und nehme es ernst, wenn sie jetzt sagt, dass sie neue Leitlinien entwickeln will, die verhindern, dass es zu Missbrauch kommt, die verhindern, dass verdeckt wird, die verhindern, dass der Täter geschützt wird. Genau das ist der Sinn des runden Tisches.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Kollegin.
Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU):
Ich wünsche den drei Ministerinnen viel Glück. Ich denke, dieser runde Tisch ist der richtige Rahmen, um darüber zu sprechen, wie man die inneren Strukturen so verändern kann, dass man den Kindern tatsächlich helfen kann.
Vielen Dank.