Mit dem Status quo nicht zufriedengeben

Wir beraten heute in erster Lesung die Ratifizierung der Europaratskonvention gegen Menschenhandel. Der Gesetzentwurf selbst, den die Regierung vorgelegt hat, ist kurz, er beschränkt sich auf die Überführung der Konvention in nationales Recht, sechs Jahre nach der Zeichnung der Konvention. Wir haben ihn noch nicht diskutiert, aber ich könnte mir vorstellen, dass alle Fraktionen ihm zustimmen werden. Aber damit ist die Debatte nicht geführt.

Das Gesetz muss der Anlass sein, sich genauer anzuschauen, in welchen Formen, in welchem Ausmaß es Menschenhandel auch in unserem Land gibt. Wir müssen uns genauer ansehen, ob unsere Gesetze ausreichen, um der Konvention zu genügen, vor allem aber, um Menschen davor zu schützen, Opfer von Menschenhandel zu werden, und denen, die Opfer sind, sich daraus zu befreien. Weltweit sind etwa 2,5 Millionen Menschen jährlich von Menschenhandel betroffen, sie werden wie Ware gehandelt und ausgebeutet. Menschenhandel ist ein weltweites und meist auch mit grenzüberschreitender organisierter Kriminalität einhergehendes Phänomen. Es ist daher unsere Aufgabe, sämtliche Bestrebungen im nationalen, im europäischen und internationalen Rahmen zu unterstützen, die darauf gerichtet sind, die Bekämpfung des Menschenhandels zu koordinieren, zu intensivieren und ihm langfristig die Grundlage zu entziehen. Deshalb ist auch der deutsche Beitritt zur Europaratskonvention von großer Bedeutung und ein wichtiges Signal.

Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass Verbrechen des Menschenhandels auch hier bei uns in Deutschland stattfinden. Nach Angaben von SOLWODI wurde allein 2009 wegen sexueller Ausbeutung – nicht der einzige, aber ein wesentlicher Tatbestand des Menschenhandels – gegen fast 800 Tatverdächtige ermittelt, es wurden 710 Opfer in diesem Zusammenhang ermittelt, von denen 10 Prozent angaben, zur Prostitution gezwungen worden zu sein. 23 Prozent gaben an, über ihre Tätigkeit im Ausland getäuscht worden zu sein. Diejenigen, die ursprünglich mit der Prostitutionsausübung einverstanden waren, wurden häufig über die tatsächlichen Umstände getäuscht. Und realistischerweise müssen wir davon ausgehen, dass die Dunkelziffer sehr viel höher ist. Schätzungen beziffern die Zahl der Personen, die nach Deutschland in die Prostitution gehandelt werden auf jährlich mindestens 10 000.

Die Europaratskonvention ist nun das erste rechtsverbindliche Dokument, das Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung und zur Arbeitsausbeutung ausdrücklich in einen menschenrechtlichen Kontext stellt und die Mitgliedstaaten zu umfassenden Maßnahmen zur Prävention von Menschenhandel, Strafverfolgung der Täter und Schutz der Opfer verpflichtet. Die Denkschrift der Regierung zur Konvention geht davon aus, dass unsere Gesetze und Maßnahmen den Anforderungen der Konvention bereits heute genügen und dass wir die Ratifizierung beschließen können, ohne zu weiteren Gesetzesänderungen oder Maßnahmen verpflichtet zu sein. Wir können sicherlich auch feststellen, dass unsere Gesetze einen hohen Schutzstandard gewährleisten, dass unsere Gerichte, unsere Behörden und Gremien auf Ebene von Bund und Ländern den Schutz der Opfer wirklich ernst nehmen und effektiv arbeiten. Ich möchte hier vor allem die Arbeit der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Frauenhandel“ nennen, in der Bundesressorts, Landesfachministerkonferenzen und Nichtregierungsorganisationen zusammen wirken.

Sehr positiv ist vor allem die gerade beschlossene Verlängerung der Bedenk- und Stabilisierungsfrist. Die auch von der KOK e.V. geforderte Verlängerung von einem auf drei Monate ist im Zuge der Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex geregelt worden, und auch der Bundesrat hat am 23. September dieses Jahres zugestimmt. Die in § 59 Abs. 7 Satz 2 geregelte Ausreisefrist wird damit im Interesse der Opfer von Menschenhandel und illegaler Beschäftigung auf mindestens drei Monate verlängert. Dies bedeutet eine erhebliche Verbesserung für Menschenhandelsopfer in einer sensiblen, entscheidenden Phase und entschärft den Zeitdruck.

Gerade für Frauen, die sexuell ausgebeutet werden, müssen wir aber weitere Hilfen und bessere Regelungen vorsehen. Die Frauen arbeiten unter besonders gesundheitsgefährdenden, entwürdigenden und unsicheren Bedingungen. Sie haben kaum Sprachkenntnisse, sie haben kaum Sozialkontakte außerhalb des Milieus, ihnen wird der Pass abgenommen, sie haben kaum eine Chance diesen Zuständen zu entkommen, und es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich auf diese ausbeuterischen Bedingungen weiter einzulassen. Auch Schwester Lea Ackermann, der Gründerin von SOLWODI, hat kürzlich wieder in der Gruppe der Frauen meiner Fraktion berichtet, dass es insbesondere durch die EU-Osterweiterung und auch in Zusammenhang mit dem Prostitutionsgesetz von 2001 zu einer Verschlechterung der Situation von Zwangsprostituierten gekommen sei. Insbesondere die Kontrollmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden sei stark eingeschränkt. Es würden immer weniger Fälle von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung aufgedeckt werden. Nicht umsonst ist Frauenhandel heute so gewinnbringend wie der Drogen- und Waffenhandel. Für die Menschenhändler ist das Geschäft nicht sehr risikoreich, denn viele Opfer haben Angst, sich bei der Polizei zu melden. Jetzt hat zwar das Prostitutionsgesetz von 2001 die formale Rechtsposition von Prostituierten gestärkt. Es hat aber keine wesentlichen Verbesserungen beim Gesundheitsschutz, Arbeitsschutz und der sexuellen Selbstbestimmungsrechte erreicht. Insbesondere bei Menschenhandel und Zwangsprostitution greift es nicht. Die hier feststellbare Tendenz zu immer unzumutbareren Erscheinungsformen wie Flatrate-Bordellen, und Gang-Bang-Veranstaltungen sowie eine zunehmende Brutalisierung betreffen alle Prostituierte in ihrer Menschenwürde, sind vor allem aber für diejenigen, die als Opfer von Menschenhandel gegen ihren Willen in dieser Situation gehalten werden, schlicht unerträglich.

Neben den weiteren Empfehlungen aus dem Bericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes von 2007, die auf einen besseren Schutz vor Gewalt und Ausbeutung abzielen, müssen wir hier meines Erachtens gerade auch die Freierstrafbarkeit in den Blick nehmen. Kunden, die die Situation der Frauen durchaus erkennen oder – wenn sie Herz und Hirn nicht vorübergehend ausgeschaltet hätten – zumindest erkennen könnten, sollten ebenfalls persönlich strafrechtlich verantwortlich sein, wenn sie diese Situation ausnutzen. Ich bin überzeugt, dass das ein gutes Mittel wäre, um die Nachfrage nach der Ware Mensch zu stoppen und so das Geschäftsmodell der Täter zu zerstören.

Ein interessantes Beispiel gibt außerdem Italien mit der Regelung, dass Opfer, die durch Fachberatungsstellen und Polizei identifiziert worden sind, auch ohne Zeuginnenaussage vor Gericht einen vorerst befristeten Aufenthaltstitel bekommen können. Dies nimmt zusätz-lichen Druck von den Opfern; Anzeichen für eine missbräuchliche Anwendung bzw. Berufung auf diese Regelung gibt es dabei anscheinend nicht; das sollten wir uns genauer anschauen.

Wir können wir uns nicht zufriedengeben mit dem Status quo, deshalb gehören auch weitere Regelungen auf den Prüfstand, zum Beispiel die Informationsrechte der Betroffenen. Wenn die Konvention vorsieht, dass alle Betroffenen über ihre Rechte informiert werden müssen – früh, umfassend und verständlich beim ersten Kontakt mit den zuständigen Behörden; das sind in Deutschland in der Regel Polizei, Zoll, Gewerbeaufsicht oder die Finanzkontrolle Schwarzarbeit –, reicht es dann, wenn § 406 h StPO die Informationspflicht in Bezug auf die Rechte der Betroffenen im Zusammenhang mit einem Strafverfahren regelt? Reichen die bisherigen Informationspflichten zum Beispiel über Ansprüche, die in zivilrechtlichen Verfahren geltend gemacht werden können? Braucht es mehr Informationen über die Aufenthaltsrechte?

Oder die Pflicht zur Identifizierung der Betroffenen, eine der wesentlichen Neuerungen der Europaratskonvention. Diese Pflicht ist wesentlich dafür, dass ein Opfer überhaupt als solches erkannt werden kann und ihm geholfen werden kann. Denn die Erfahrung zeigt, dass Opfer von Menschenhandel so verängstigt und eingeschüchtert sind, dass sie oft nicht unmittelbar als Opfer zu erkennen sind und sich auch selbst nicht zu erkennen geben. Das Deutsche Institut für Menschenrechte beruft sich auf den Bericht des Bundeskriminalamtes „Lagebild Menschenhandel“ von 2010, wenn es sagt, dass Betroffene, die von Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung betroffen sind, nur in Einzelfällen identifiziert werden. Das zeigt, dass die Behörden noch aufmerksamer agieren müssen, um Opfer als solche zu identifizieren, gerade in den anfälligen Branchen wie Gaststätten oder auf Baustellen.

Ganz wesentlich sind Maßnahmen, die helfen können, den Tätern einen Strich durch die Rechnung zu machen, ihr Geschäftsmodell zu stören. Dazu trägt alles bei, was den Opfern helfen kann, ihre Ansprüche auf Lohn, auf Schmerzensgeld und Schadenersatz geltend zu machen. Unter diesem Aspekt können wir die Position der Opfer bei Aufenthaltsregelungen, Informationsrechten, im Straf- und Strafprozessrecht und im Prostitutionsrecht sicher noch stärken. Das wäre nicht nur ein Gebot der Gerechtigkeit, sondern könnte auch einen präventiven Ansatz stärken.

Zum Schluss möchte ich an dieser Stelle Dank sagen an SOLWODI, Terres des femmes und allen anderen, die sich der Opfer von Menschenhandel annehmen. In den Beratungsstellen finden Frauen in Notlagen individuelle Beratungs- und Hilfsangebote; Opferzeuginnen in Menschenhandelsprozessen finden besondere Unterstützung und Rechtsbeistand. Sie finden sichere Unterbringung in Schutzwohnungen, Hilfe bei Behördengängen und Arztbesuchen. Diese oft ehrenamtliche Arbeit sowie die Vernetzung der Hilfsorganisationen untereinander im In- und Ausland ist ein wichtiger Baustein in der Hilfestruktur über die gesetzlichen Regelungen hinaus.

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