Menschenhandel in all seinen Formen ist eines der schwersten Verbrechen

Mit der heutigen Verabschiedung des Gesetzes zum Übereinkommen des Europarates vom 16. Mai 2005 zur Bekämpfung des Menschenhandels tritt Deutschland nun endlich dem Übereinkommen bei. Deutschland hat sich als wichtiger Mitgliedstaat des Europarates aktiv für das Zustandekommen der Konvention eingesetzt und hat schon sehr früh das Übereinkommen gezeichnet. Mit dem Beitritt signalisieren wir ausdrücklich die Notwendigkeit einer umfassenden völkerrechtlichen Übereinkunft, Menschenhandel in all seinen Erscheinungsformen zu bekämpfen und alles daranzusetzen, ihm langfristig die Grundlage zu entziehen. Im Hauptfokus des Übereinkommens stehen erstmalig der Schutz und die Unterstützung der Opfer dieses schweren Verbrechens gegen die Menschenwürde.

Menschenhandel in all seinen Formen ist eines der schwersten Verbrechen. Jährlich sind etwa 2,5 Millionen Menschen betroffen, sie werden ausgebeutet und wie Ware behandelt. Opfer von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung – eine wesentliche Form des Menschenhandels – betrifft überwiegend Frauen und Mädchen auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben. Wir wissen, dass mitten in unserem Land skrupellose Menschenhändler mit der Ware Mensch ihr Geld machen.

Erst gestern hat uns eine Meldung aus den USA aufgeschreckt: Dort konnten in den letzten Tagen 100 Zuhälter in einer groß angelegten Aktion des FBI aufgespürt und 79 Jugendliche zwischen 11 und 17 Jahren befreit werden; insgesamt konnten seit 2003 über 220 Kinder gerettet werden. Das zeigt, wie sehr dieses furchtbare Verbrechen selbst in zivilisierten Gesellschaften verbreitet ist. Dieses Verbrechen müssen wir bekämpfen, und dazu gibt uns die Europaratskonvention in ihrem gesamten Geltungsbereich, der sowohl Herkunfts- als auch Zielländer des Menschenhandels – umfasst, ein wichtiges Instrumentarium an die Hand.

Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme ausgeführt, dass unsere Gesetze und Maßnahmen den Anforderungen der Konvention bereits genügen und wir ohne weitere Gesetzesänderungen die Ratifizierung beschließen können. Auch der Bundesrat hat sich über die Parteigrenzen hinweg dieser Auffassung einstimmig angeschlossen. Vonseiten der Länder besteht also kein Wunsch nach weiteren gesetzlichen Änderungen. Wir haben uns der Auffassung angeschlossen, dass es keinen zwingenden gesetzlichen Handlungsbedarf gibt und dass einem zügigen Beitritt Deutschland nichts im Weg steht.

Inzwischen sind 36 von 47 Mitgliedstaaten des Europarates dem Übereinkommen beigetreten, wir sollten unserem Ansehen nicht schaden, indem wir unseren Bei-tritt weiter hinauszögern. Der Beitritt zur Konvention hat für Opfer von Menschenhandel in Deutschland auch ohne weitere gesetzliche Änderung ihren Wert.

Zur Kontrolle der Umsetzung hat die Konvention einen effektiven und unabhängigen Mechanismus eingesetzt, dem sich Deutschland in Zukunft ebenfalls stellen muss. Er beinhaltet zum einen eine unabhängige Expertengruppe, GRETA – Group of Experts on Trafficking in Human Beings, die einen periodischen Bericht über die Vertragsparteien vorlegt, zum anderen einen Ausschuss der Vertragsparteien, der aufgrundlage des Berichts und der Äußerung der betroffenen Vertragspartei Empfehlungen aussprechen kann. Dem Anliegen des SPD-Antrags, die Arbeit der Expertengruppe GRETA für die Kontrolle der Umsetzung des Übereinkommens und die fortlaufende Evaluierung der getroffenen Maßnahmen der Vertragsstaaten intensiv zu nutzen, kann auch nur dann entsprochen werden, wenn Deutschland schnell die Ratifizierung abschließt und damit dem GRETA-Mechanismus unterliegt.

Trotzdem plädiere ich dafür, dass wir die Vorschläge und Forderungen der Sachverständigen, die in der Anhörung aus ihren Erfahrungen aus der Praxis berichtet haben, auf der Tagesordnung stehenlassen. Die anstehende Umsetzung der EU-Richtlinie zum Menschenhandel bietet dazu den passenden Anlass. Dabei erscheinen mir zwei Punkte besonders wichtig: Zum einen geht es um das

Aufenthaltsrecht der Opfer aus Drittstaaten. Uns geht es ja neben dem Schutz der Opfer darum, die Geschäftsmodelle der Täter zu durchkreuzen, ihnen das Handwerk zu legen. Wir wollen, dass die Frauen aussagen. Dazu brauchen sie die nötige Zeit, sich von ihrem Trauma zu erholen, sich zu stabilisieren und Vertrauen zu fassen. In dem Zusammenhang begrüße ich auch die kürzlich zur Anpassung des EU-Visakodexes aufgenommene Verlängerung der Bedenk- und Stabilisierungsfrist von einem auf drei Monate, womit die Ausreisefrist im Interesse der Opfer von Menschenhandel und illegaler Beschäftigung verlängert wurde. Dies bedeutet schon mal eine erhebliche Verbesserung für die Opfer von Menschenhandel in einer sensiblen Phase, und es entlastet sie in ihrem meist traumatisierten Zustand durch Entschärfung des Zeitdrucks.

Ich halte ein Aufenthaltsrecht nach dem italienischen Vorbild für durchaus überlegenswert. Das italienische Modell wurde im Übrigen auch von den meisten Sachverständigen in der Anhörung am 19. März befürwortet. Maßgeblich bei diesem Modell ist, dass die Frauen nicht zwingend als Zeuginnen gegen die Täter aussagen müssen. Sie können ohne Druck zur Ruhe kommen und in garantierter Sicherheit überlegen, ob sie eine gerichtliche Aussage machen wollen oder nicht. Aus der Praxis ist bekannt, dass sich in der Regel durch eine Bedenkzeit die Aussagebereitschaft und Aussagefähigkeit von traumatisierten Frauen erhöht. Im Übrigen könnten Strafverteidiger der Täter in Deutschland nicht mehr behaupten, die Betroffene würde nur aussagen, um sich einen Aufenthaltstitel zu erschleichen Diese, die Glaubwürdigkeit der Opfer sehr belastende Strategie der Verteidiger wäre nicht mehr tragfähig, wenn alle Opfer von Menschenhandel – unabhängig von ihrer Aussage – einen Aufenthaltstitel erhalten. Die zeitliche Entkoppelung von Aussage und Aufenthaltstitel hat in diesem Zusammenhang zum Ziel, dass deutlich mehr Opfer glaubwürdige Aussagen machen und es zu deutlich mehr Verurteilungen kommen würde. Dies war auch einhellige Meinung der Sachverständigen in der Anhörung.

Die EU hat das Modell ausgewertet, ein von vielen befürchteter Missbrauch konnte nicht festgestellt werden. In Italien wurde das Kontingent von einigen Tausend Betroffenen pro Jahr bei weitem nicht ausgeschöpft. Bei uns würde es sich, da die Opfergruppen aus den Ost-EU-Ländern ohnehin Freizügigkeit genießen, lediglich um eine überschaubare Zahl, vor allem aus Afrika und hier insbesondere Nigeria handeln. Laut BKA-Lagebericht 2010 waren von 610 ermittelten Opfern des Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung 62 aus Afrika, davon 46 aus Nigeria. Alle anderen kamen fast ausschließlich aus den osteuropäischen Ländern. Gerade an die Frauen aus Nigeria – so Solwodi und Vertreter von Beratungsstellen – ist sehr schwer heranzukommen. Sie fühlen sich oftmals mit einem Voodoo-Zauber aus ihrer Heimat belegt, sind voller Angst, und es erfordert große Sensibilität und viel Zeit, bis überhaupt ein Zugang zu ihnen gefunden werden kann und sie eine Aussage machen. Schiebt man sie in ihre Heimat ab, beginnt für sie der Teufelskreis von vorn; denn sie haben noch nicht das Geld eingebracht, was sie ihren Händlern einbringen sollten, und die Schulden für die Reise in den Westen sind auch noch nicht bezahlt. So bleiben sie oftmals in den Fängen der Menschenhändler.

Zum anderen müssen wir den Zusammenhang mit dem Prostitutionsgesetz in den Blick nehmen. Laut Lagebericht des BKA haben sich die Herkunftsländer von Tätern und Opfern sowie die Ausbeutungsmechanismen stark verändert. Die EU-Osterweiterung in Zusammenhang mit dem Prostitutionsgesetz von 2001 hat – so -haben es uns auch Schwester Lea Ackermann von -Solwodi und Heidi Rall vom BKA eindringlich geschildert – zu einer Verschlechterung der Situation von Zwangsprostituierten gekommen.

Über die Hälfte der Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung stammten 2010 aus den osteuropäischen Staaten, vor allem aus Rumänien und Bulgarien. Meist stammen sie aus ethnischen Minderheiten, haben eine sehr schlechte Bildung und meist bereits eine hohe Gewalterfahrung. Die meisten sind unter 21 Jahre alt, viele geben an, mit der Prostitution einverstanden zu sein. Erfahrungsgemäß werden sie von den Tätern aber über die tatsächlichen Umstände getäuscht und gezielt in ein Abhängigkeitsverhältnis gebracht. Die Frauen arbeiten unter besonders entwürdigenden und gesundheitsgefährdenden Bedingungen, sie haben kaum eine Chance, diesen sklavenähnlichen Zuständen zu entkommen. Da insbesondere die Kontrollmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden stark eingeschränkt sind, werden immer weniger Fälle aufgedeckt. Die Täter können unbehelligt weitermachen, die Opfer haben keine Chance, zu entkommen. Besonders besorgniserregend ist in diesem Zusammenhang das vermehrte Auftreten besonders extremer Erscheinungsformen und Auswüchse in der Prostitution wie zum Beispiel Flatrate-Bordelle und Gang-Bang-Veranstaltungen.

Gegen diese zunehmende Brutalisierung im Prostitutionsgewerbe und gegen die Zustände, die die Ausbeutung von Frauen so leicht machen, müssen wir als Gesetzgeber unbedingt etwas tun. Schon 2007 kam die Bundesregierung in ihrem Bericht zu den Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes zu dem Ergebnis, dass es mehr rechtliche Instrumentarien zur Kontrolle und Vorbeugung krimineller Begleiterscheinungen geben müsse. Mit einem Beschluss des Bundesrates und einem Beschluss der Innenministerkonferenz vom November 2010 liegen auch von einer breiten Mehrheit der Länder getragene Aufforderungen nach besseren und effektiveren rechtlichen Instrumentarien, insbesondere des Gaststätten-, des Gewerbe-, Polizei- und Ordnungsrechts zum Schutz der dort tätigen Personen vor. Vor allem die Erlaubnispflicht für Bordelle, die Überprüfung der Betreiber, eine verpflichtende Registrierung und Gesundheits-untersuchung für die Prostituierten, die ihnen ein vertrauliches Gespräch mit einem Arzt ermöglicht, halte ich für unverzichtbar. Auch die sogenannte Freierbestrafung muss diskutiert werden. Zudem müssen wir dafür sorgen, dass es flächendeckend bessere Ausstiegsangebote für Prostituierte gibt.

Zum Schluss möchte ich noch ein paar Worte zu den guten Unterstützerstrukturen in Deutschland sagen: Wir haben im Bereich des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung gute langjährig aufgebaute Unterstützungsangebote und Vernetzungs- und Koordinierungsstrukturen auf kommunaler sowie auf Landes- und Bundesebene.

Die 49 Fachberatungsstellen in den 16 Ländern sind alle Mitglied im KOK, bundesweit tätiger Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt gegen Frauen im Migrationskreis. Sie sind ein wichtiges Mitglied in der Bund-Länder-AG Frauenhandel, die ein zentrales Steuerungs- und Koordinierungselement auf Bundesebene ist. Ich möchte diese Arbeit, bei der auch die vielen Nichtregierungsorganisationen zusammenwirken, ausdrücklich loben. Sie alle zusammen leisten großartige Arbeit, und ich hoffe, dass sie jetzt mit der Umsetzung der Konvention noch weiter und speziali-sierter ausgebaut werden kann und dass auch insbesondere die Finanzierung des KOK durch das BMFSFJ fortbestehen wird.

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