2,4 Millionen Menschen pro Jahr sind weltweit von Menschenhandel betroffen

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für warme Worte zum Weihnachtsfest eignet sich das Thema Menschenhandel gewiss nicht. – Die Situation von Opfern von Menschenhandel haben wir in dieser Legislaturperiode schon mehrfach auf der Tagesordnung gehabt: zunächst im vergangenen Jahr, als wir die Bedenk- und Stabilisierungsfrist für Opfer von Menschenhandel von einem auf drei Monate verlängert haben – das geschah damals im Zuge der Anpassung an den EU-Visakodex –, aber auch bei der Ratifizierung der Europaratskonvention zur Bekämpfung von Menschenhandel. Seither stellen wir uns auch in Deutschland der Bewertung des Kontrollgremiums GRETA, das periodisch Berichte erarbeiten wird und Vorschläge zur Verbesserung im Kampf gegen den Menschenhandel unterbreitet.

Wir hatten in diesem Zusammenhang eine Diskussion und eine Sachverständigenanhörung zu der Frage, ob wir noch mehr tun müssen, um diese Konvention ratifizieren zu können, oder was unabhängig von Zwang politisch gewünscht und sinnvoll ist. Wir haben uns damals im Anschluss an Auffassungen der Bundesregierung und des Bundesrates dagegen entschieden, im Rahmen des Ratifizierungsprozesses Maßnahmen zu ergreifen, aber in der Tat bleibt die Frage, ob etwas politisch gewünscht wird und umzusetzen ist, auf der Tagesordnung; denn wir lassen uns nicht immer nur zwingen.

Zunächst einmal ein Blick auf die Zahlen und Fakten: 2,4 Millionen Menschen pro Jahr sind weltweit von Menschenhandel betroffen. Nach Angaben der ILO sind es vor allem Frauen und Kinder, die infolgedessen schwer traumatisiert und für ihr Leben gezeichnet sind. Ein Großteil der Opfer kommt mittlerweile aus Osteuropa. Darüber hinaus stammt eine relevante Zahl der Opfer aus Afrika, vor allem aus Nigeria. Ein großer Teil der Opfer wird zur Prostitution und zur Schwarzarbeit gezwungen. Deutschland ist sowohl als Transitland als auch als Zielland stark betroffen. Hinter dem Menschenhandel stecken häufig sehr gut strukturierte Netzwerke der organisierten Kriminalität.

Mich machen vor allem die krassen Fälle der sexuellen Ausbeutung sehr betroffen. Mir hat eine Kollegin aus dem Bundestag, die früher als Rechtsanwältin tätig war, dazu ein sehr nahegehendes Beispiel genannt:

Eine junge Frau aus einem Drittstaat ist mit falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt worden. Dann geht es ganz klassisch weiter: Sie wird in ein Bordell gebracht, und die Papiere werden ihr abgenommen. Sie wird von sechs Männern vergewaltigt. Sie wird monatelang in diesem Bordell festgehalten und dort auf übelste Weise ausgenutzt. Bei einer Razzia wird sie dann aufgegriffen. Ungewöhnlich ist in diesem Fall: Sie ist zur Aussage bereit. Sie muss aber erleben, dass die Täter nur zu einer Bewährungsstrafe verurteilt werden. Sie selbst darf auch aus humanitären Gründen nicht in Deutschland bleiben. Sie wird nach Hause zurückgeschickt und findet dort die gleichen Strukturen vor. Sie wird wieder nach Deutschland gebracht.

In den Regionen in Deutschland findet so etwas alltäglich statt. Wir können davon ausgehen, dass wir im Moment auch hier in Berlin von vielen Frauen umgeben sind, die das Schicksal dieser Frau teilen. Ähnliche Schicksale schildern uns die Hilfsorganisationen, etwa Schwester Lea Ackermann von Solwodi, und auch das BKA.

Hier stellt sich uns folgender Problemzusammenhang dar: Zumeist sind die Opfer nicht zur Aussage bereit, weil sie Sorge haben und weil sie traumatisiert sind und sich gar nicht dazu durchringen können, sich mit ihrer Situation auseinanderzusetzen. Tun sie es doch, dann wird ihnen aufgrund der Koppelung von Aufenthaltstitel und Aussage häufig die Glaubwürdigkeit mit der Folge abgesprochen, dass die Täter ohne Strafe davonkommen und die kriminellen Strukturen unangetastet bleiben. Deshalb ist es aus meiner Sicht der richtige Weg, für mehr Sicherheit für die Opfer zu sorgen, damit sie sich trauen, auszusagen, und man besser an die Täter anstatt an die Opfer herankommt.

Natürlich wird hier das Risiko von Missbrauch gesehen. Aber auch hier sagen uns die Fachleute – aus meiner Sicht sehr glaubhaft –, dass diese Gefahr minimal ist, weil man anhand des Ortes, wo eine Person aufgegriffen wird, und anhand der Verletzungen, die zu sehen sind, objektive Anhaltspunkte dafür finden kann, ob diese Person Opfer von Menschenhandel war oder ob sie sich den Aufenthalt erschleichen will. Wer sich als Frau einen Aufenthalt in Deutschland erschleichen will, findet sicherlich einfachere Wege, als den Weg der Zwangsprostitution zu gehen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Pascal Kober [FDP])

Im Übrigen müssen wir uns entscheiden – dabei richte ich den Appell ausdrücklich an die Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen –: Es wäre doch ein tolles Anliegen auch im Rahmen von Law and Order, wenn wir uns mehr darum kümmern, die Täter zu finden, statt uns vor einigen Opfern zu schützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Und sie abzuschieben!)

Trotzdem bin ich der Auffassung, das Aufenthaltsrecht ist nicht die Lösung aller Probleme. Denn wir müssen auch sehen, dass viele Opfer aus Osteuropa kommen, also auch aus EU-Staaten, für die das Aufenthaltsrecht längst gegeben und geregelt ist. Deshalb gehört für mich auch eine Reform des Prostitutionsgesetzes dazu. Auch die Fachleute sagen uns, dass das Prostitutionsgesetz seit 2001 zu einer deutlichen Verschlechterung für Frauen in Zwangsprostitution geführt hat.

(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat doch damit nichts zu tun!)

– Doch, auch das hat etwas damit zu tun. Denn es gibt kaum noch eine Handhabe für die Ordnungsbehörden, Razzien zu machen oder sich überhaupt in die Bordelle zu begeben, wo die Frauen gehalten werden. Hier hat das sicherlich gut gemeinte Prostitutionsgesetz leider genau das Gegenteil bewirkt und schützt im Prinzip die Täter und nicht die Opfer.

Wir haben mittlerweile mehrere Beschlüsse von Fachministerkonferenzen. Auch die Gleichstellungsministerkonferenz und die Innenministerkonferenz haben im Sommer 2012 den Fokus darauf gelegt. Es ist doch ein Unding, dass es leichter ist, ein Bordell zu eröffnen als eine Frittenbude.

Wir müssen ganz klar dafür sorgen, dass es den Frauen ermöglicht wird, in regelmäßigen Abständen vertrauliche Gespräche mit Ärzten oder Ordnungsbehörden zu führen. Wir müssen hier zu einem Verbot von Werbung kommen. Auf meiner Wunschliste stünde auch die Bestrafung derjenigen Freier, die wissen, dass sie eine Zwangsprostituierte vor sich haben.

Ich würde mir eines wünschen – ich weiß, dass wir in verschiedenen Punkten unterschiedlicher Meinung sind –: Lassen Sie uns doch ein Paket aus all diesen Maßnahmen schnüren! Jeder springt ein Stück weit über seinen Schatten, und dann schaffen wir es vielleicht auch, zu einem guten Paket für die Frauen zu kommen. Das wäre eine gute Weihnachtsbotschaft.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)