Dem Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag stimmen wir nicht zu. Wir unterstützen es, zu einem unbefangeneren Umgang mit Transsexualität zu kommen, für die sich niemand erklären oder rechtfertigen muss. Gleichwohl überwiegt aber die Kritik an der gesetzlichen Neuregelung.
Wir können nachvollziehen, wenn transsexuelle Personen schildern, dass die bisher erforderliche Bestätigung von zwei Gutachtern als Bedingung für die Anerkennung des empfundenen Geschlechts als übergriffig und unangemessen empfunden wird. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht die bisherige gesetzliche Voraussetzung zweier Gutachten nicht für verfassungswidrig gehalten hat, wäre aus unserer Sicht eine umfassende und ergebnisoffene fachärztliche Beratung mit anschließend ausschließlich selbst verantworteter Entscheidung für Erwachsene ausreichend. Eine solche objektive ärztliche Beratung halten wir allerdings für notwendig. Wenn jede qualifizierte objektive Beratung wegfällt, dann drohen sowohl Fehldiagnosen als auch Missbrauch. Eine reine Selbstanalyse, verbunden mit einer bestätigenden Reaktion des Umfelds, kann leicht zu Fehleinschätzungen führen. Wir kennen Fälle z.B. aus England, in denen Betroffene beklagen, dass ihnen viel zu schnell zum Wechsel des Geschlechtseintrags und in der Konsequenz auch zu hormonellen und operativen Maßnahmen geraten wurde - mit irreversiblen Folgen.
Die Gefahr einer Fehlentscheidung oder auch der Manipulation durch Peergroups oder in Social Media ist besonders groß bei Kindern und Heranwachsenden. Darauf deuten etwa gehäufte Fallzahlen in Schulklassen hin. Deshalb wäre hier ein Festhalten an zwei Gutachten erforderlich gewesen. Wir halten es außerdem für falsch, dass das Verfahrensrecht im Fall eines Konflikts zwischen Jugendlichen und Eltern abweichend von der sonstigen Rechtslage die Entscheidungsbefugnis der Eltern ohne den Nachweis einer Kindeswohlgefährdung übergeht. Das ist ein massiver Eingriff in Grundrechte und in die Verantwortung der Eltern.
Unbefriedigend ist auch eine Lücke des Gesetzes: Schutzräume und spezifische Regeln für Frauen, etwa für Umkleiden, für Treffs lesbischer Gruppen, bei Frauenquoten in Wirtschaft und Politik oder im Frauensport brauchen eine klare gesetzliche Grundlage, die das Gesetz nicht bietet. Es reicht nicht, hier auf das Hausrecht zu verweisen; ungelöste Konflikte mit dem AGG sind absehbar. Hier geht es zu Lasten von Frauen, wenn das Geschlecht ohne jede objektive Vorgabe gleichsam zur beliebigen Kategorie wird.
Verfehlt ist außerdem die besondere Regelung zum Offenbarungsverbot. Beleidigungen sind bereits nach allgemeinen Regelungen strafbar und verpflichten ggf. zum Schadensersatz. Ein darüber hinausgehendes Verbot, bestimmte Tatsachen zu benennen und auch eine persönliche, kritische Haltung zu äußern, trägt zu der wünschenswerten allgemein unbefangenen Haltung gerade nicht bei, sondern zahlt auf das Narrativ ein, dass in Deutschland nicht mehr alles gesagt werden dürfe.
Der Wechsel des Geschlechtseintrags ist aus ordnungsrechtlichen Gründen den Familiengerichten zuzuordnen. Nach unserem Verständnis geht es nicht nur um die bloße Dokumentation eines Sprechaktes, sondern der personenstandsrechtliche Wechsel knüpft an eine Eigenschaft der antragstellenden Person an, die zumindest einer Plausibilitätsprüfung anhand allgemein offensichtlicher Merkmale oder Erläuterungen bedarf. Das ist nicht Aufgabe der Standesämter.
Elisabeth Winkelmeier-Becker MdB und Carsten Müller MdB