Der Deutsche Bundestag ist in den vergangenen Jahren immer weiter gewachsen. Deshalb debattieren wir eine Wahlrechtsreform, die zu einer Verkleinerung des Parlaments führen soll.
Grund für das Anwachsen sind zum einen Veränderungen von Parteienlandschaft und Wählerverhalten. Die Volksparteien CDU/CSU und SPD haben Wähler verloren, ursprünglich kleinere Parteien sind stärker geworden, Neue sind dazugekommen. Neben diesen Veränderungen der Parteienlandschaft hat eine Wahlrechtsänderung nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts diesen Effekt deutlich verstärkt: früher waren Überhangmandate möglich, die immer dann entstehen, wenn eine Partei mehr Direktmandate in den Wahlkreisen holt, als sie rein rechnerisch nach ihrem Prozentanteil bei den Zweitstimmen bekommen würde. Solche Überhangmandate führen nach dem aktuellen Wahlrecht dazu, dass alle anderen Parteien soviele Mandate zusätzlich erhalten, bis das Verhältnis zueinander wieder mit dem Prozentergebnis der Zweitstimmen bei der Bundestagswahl übereinstimmt. Unter diesen Bedingungen hat der Bundestag nun statt seiner grundgesetzlich vorgesehenen Größe von 598 Abgeordneten insgesamt 736 Abgeordnete.
Hintergrund ist unser Wahlrecht, das nach dem Prinzip der „Personalisierten Verhältniswahl“ funktioniert: Mit der ersten Stimme auf dem Wahlzettel wählen die Bürger und Bürgerinnen, wer sie als direkt gewählte/r Abgeordnete/r im Parlament vertreten soll. Hier gewinnt, wer im Wahlkreis die meisten Stimmen erzielt. Damit ist gesichert, dass jeder Wahlkreis mit einem/einer direkt gewählten Abgeordnete/n in Berlin vertreten ist, der/die das Vertrauen der Wähler und Wählerinnen hat. Dabei wissen wir: in vielen Wahlkreisen gibt es eine hohe Identifikation mit dem/der direkt gewählten Abgeordneten. Nicht selten liegt der Wahlkreissieger bzw. die -Siegerin mit dem Erststimmenergebnis auch deutlich über dem Zweitstimmenergebnis der eigenen Partei. Mit der Zweitstimme wird entschieden, wie stark jede Partei im Bundestag sein soll. Dies ist entscheidend dafür, wer letztlich die Regierung stellen kann. Das Grundgesetz sieht vor, dass 299 Mandate „direkt“, d.h. in den Wahlkreisen an die Direktkandidaten und -Kandidatinnen vergeben werden, die andere Hälfte über Listen, auf denen die Parteien die Reihenfolge bestimmen. Parteien, die keine oder wenige Direktmandate erzielen, bekommen so ihren Anteil an Mandaten entsprechend dem Wahlergebnis über diese Listen, während andere Parteien (bisher vor allem CDU, CSU und SPD) viele Direktmandate gewinnen und dann nur die Differenz zum prozentualen Wahlergebnis über die Listen auffüllen können. Problematisch wird es, wenn eine Partei schon mehr Direktmandate erzielt (zB 70 % der Wahlkreise, entsprechend 35 % der insgesamt zu vergebenden Mandate), als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis bei der Wahl (zB bei erzielten 30 % der Zweitstimmen) zustehen. Dann ergeben sich die genannten Überhangmandate.
Eine Begrenzung des Anwachsens ist ein gemeinsames Anliegen der Parteien. Allerdings ist die Lösung schwierig, jeder bisherige Vorschlag hat deutliche Nachteile. Die Ampelkoalition hat nun einen alten Vorschlag der Grünen in etwas veränderter Form neu vorgelegt. Danach soll über eine sogenannte Zweitstimmendeckung das Prinzip aufgebrochen werden, dass jede/r Wahlkreissieger bzw. -Siegerin auch automatisch in den Bundestag einzieht. Wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Wahlkreise gewinnt, als ihr nach Zweitstimmenergebnis zustehen, sollen die Wahlkreissieger und -Siegerinnen mit den schwächsten Erststimmen-Ergebnissen nicht wie bisher Bundestagsmitglieder werden. Das heißt zunächst: wer die meisten Erstimmen der Bürger und Bürgerinnen im Wahlkreis erzielt, ist trotzdem nicht sicher gewählt! Für diesen Fall sollen die Wähler und Wählerinnen eine dritte "Ersatzstimme" bekommen, um anzukreuzen, wen sie denn ersatzweise wählen möchten. Mit dieser wird dann entschieden, welcher Kandidat/ welche Kandidatin einer anderen Partei in einem solchen Fall den Wahlkreis vertreten darf.
Politisch und verfassungsrechtlich ist dabei kritisch, dass damit eine deutliche Entwertung des Direktmandates verbunden wäre. Gerade für umkämpfte Wahlkreise, die mal von der einen, mal von einer anderen Partei gewonnen werden - und dahin geht die Tendenz - wäre nach dem Ampel-Vorschlag das Risiko hoch, dass die Person mit den meisten Stimmen trotzdem nicht das Mandat erhält. Das ist kaum mehr verständlich und entwertet vor allem das Votum der Wähler und Wählerinnen im Wahlkreis, die eine andere Person mit ihrer Vertretung in Berlin betrauen wollten - das wird die Wahlbeteiligung eher mindern. Eine weitere Konsequenz wäre: ein engagierter Wahlkampf um jede Stimme, aber auch die Wahlkreisarbeit in der laufenden Wahlperiode wird unwichtiger. Stattdessen kommt es umso mehr darauf an, bei der eigenen Parteiführung zu punkten, um einen guten Listenplatz zu bekommen, anstatt sich mit eigenen Argumenten und Positionen gegen die Meinung der Partei- oder Fraktionsführung einzubringen. Das Ergebnis wäre: der Einfluss der Parteien auf die Abgeordneten wächst, der Einfluss der Bürger und Bürgerinnen im Wahlkreis wird geschwächt.
Auch wenn alle Parteien mit weniger Chancen auf Direktmandate das anders sehen: aus meiner Sicht wäre der Ampel-Vorschlag ein klarer Verlust für die Demokratie! Wir haben in der letzten Wahlperiode vorgeschlagen, den Spielraum des Bundesverfassungsgerichts für ausgleichslose Direktmandate zumindest teilweise zu nutzen. Nach dem erwähnten Urteil wären bis zu ca. 15 Überhangmandate einer Fraktion verfassungsrechtlich zulässig. Das würde die Rechnung deutlich verbessern, da aktuell für jedes Überhangmandat jeweils Ausgleichsmandate bei bis zu 5 anderen Fraktionen anfallen können. Als Alternative haben wir eine getrennte Wertung von Erst- und Zweitstimmen vorgeschlagen, die vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich als verfassungsgemäß anerkannt worden ist. Zwar wird dies von Parteien ohne bzw. mit wenigen Direktmandaten abgelehnt - aber jede Partei hat hier gleiche Chancen, in Zukunft Direktmandate zu gewinnen. Wir bleiben konstruktiv und gesprächsbereit. Dabei treten wir als Union für eine Lösung ein, die die Verbindung der Abgeordneten zu ihren Wahlkreisen wertschätzt und stark erhält - denn diese Verbindung ist ein Eckpfeiler für unsere Demokratie!
Für mich persönlich kann ich sagen, dass mir die Wahlkreisarbeit seit fast 17 Jahren große Freude bereitet und es mir eine Ehre ist, unsere Region als direkt gewählte Abgeordnete in Berlin zu vertreten. Ich freue mich auf meine diesjährige Wahlkreis-Sommertour im August. Meine nächste offene Bürgersprechstunde findet am 31. August um 19.00 Uhr in Siegburg statt.